<![CDATA[www.monika-studer.ch - Blog]]>Mon, 13 May 2024 22:23:52 +0200Weebly<![CDATA[Pulsmessung im Pferdetraining, Teil 1: Pulswerte lesen und interpretieren]]>Wed, 01 Nov 2023 23:00:00 GMThttp://www.monika-studer.ch/blog/pulsmessung-im-pferdetraining-teil-1-pulswerte-interpretieren
Im Pferdetraining mit Pulswerten arbeiten: Ich geb's zu, ich bin ein Fan davon! Wer Pulswerte nehmen und diese interpretieren und kontextualisieren kann, erfährt sehr viel. Pulswerte dienen nicht nur der Bestimmung des Fitnesszustands deines Pferdes und der Überprüfung und Optimierung deines Trainings, sondern helfen beispielsweise auch beim Eruieren von Schmerzen, Überforderung und Befindlichkeiten.

Doch was sind überhaupt Pulswerte und wie kann ich die Werte meines Pferdes interpretieren und damit arbeiten? Darum geht es im folgenden Blogbeitrag. In einem zweiten Teil möchte ich dir, zu einem späteren Zeitpunkt und da ich schon oft danach gefragt wurde, das 
Polar-Pulsmessgerät für Pferde vorstellen, mit dem ich selber am liebsten arbeite.
Das Wort "Puls" kommt von Lateinisch "pulsus" ("Stoss") bzw. "pulsare" ("klopfen"). Der Puls ist, vereinfacht gesagt, der Herzschlag, der sich durch die Blutbahnen bewegt. Dieser ist messbar. Über einen bestimmten Zeitraum gemessen, verrät der Puls die sogenannte Herzfrequenz, also die Anzahl Herzschläge während dieser Zeiteinheit. In der Regel misst man den Puls bzw. die Herzfrequenz pro Minute.

Je nachdem, ob der Körper sich in Ruhe oder in Anstrengung befindet, ist ein eher tieferer oder höherer Pulswert normal.

Pferde haben, im Vergleich zum Menschen, einen recht niedrigen Ruhepuls. Dieser liegt bei ca. 30-40 Schlägen pro Minute. Hat ein Pferd in Ruhe einen deutlich höheren Pulswert als 40 Schläge pro Minute, ist dies ein wichtiges Warnsignal: Möglicherweise hat das Pferd in dieser Situation Schmerzen oder steht unter Stress.


Das folgende Beispiel zeigt die Pulsmessung bei einem Pferd mit akutem Wendeschmerz. Die Messung wurde gemacht, während das Pferd im Schlenderschritt einem Waldweg entlang Gras zupfen durfte. 
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Beispiel 1: Pulsmessung bei akutem Wendeschmerz.
In der Messung zeigt sich ein Puls weitgehend auf Ruheniveau, der immer wieder in Spitzen kurz nach oben schnellt. In Echtzeit beobachtet waren das genau die Situationen, in denen das schmerzhafte Bein des Pferdes durch Wendungen kurzzeitig verstärkt belastet wurde. Die Pulsmessung zeigt uns hier also den sehr punktuellen Schmerz an. Ansonsten bewegte sich der Puls des Pferdes während des Graszupf-Schlenderschritts weitgehend im Ruhebereich.

Neben dem Ruhepuls ist, am oberen Ende der Puls-Skala, die maximale Herzfrequenz eine wichtige Grösse. Im Unterschied zum Ruhepuls, der altersunabhängig bei den bereits erwähnten 30-40 Schlägen pro Minute liegt, ändert sich die maximale Herzfrequenz im Laufe eines Lebens und sinkt mit zunehmendem Alter leicht ab. Für die Berechnung der maximalen Herzfrequenz eines Pferdes (Hf max) wird die folgende Formel angewendet:
Hf max = 223 - (Alter des Pferdes x 0.9)
Um das mit einem Beispiel zu veranschaulichen:
Ein 10jähriges Pferd hat eine maximale Herzfrequenz von 214 Schlägen pro Minute.
Bei einem 20jährigen Pferd liegt die maximale Herzfrequenz bei 205 Schlägen pro Minute.
In anderen Worten: Mit dem Alter sinkt auch die Belastbarkeit des Pferdes.

Im Training selber arbeitet man als "normaler" Freizeit- oder Sportreiter nicht im Maximalbereich der Herzleistung. Ohne ärztliche Überwachung wäre es gefährlich, bis an die Grenze zu gehen. Trotzdem ist es wichtig, dass man die maximales Herzfrequenz und damit die Leistungsgrenze kennt, denn auf ihrer Basis lassen sich verschiedene Trainingsbereiche berechnen, in denen man sich bewegt und die man auch bewusst ansteuern kann, um sein eigenes Training zu überprüfen und zu verbessern.

Trainingsphysiologisch werden fünf Bereiche unterschieden, die im Verhältnis zur maximalen Herzfrequenz definiert werden und die entsprechend vom Alter des Pferdes abhängig sind:
Bezeichnung des Trainingsbereichs
Berechnung der Hf innerhalb dieses Bereichs
Beispielrechnung für ein 10jähriges Pferd
Bewegung
30-40% Hf max
64-85 Schläge pro Minute
Gesundheit
50-60% Hf max
108-128 Schläge pro Minute
Fitness
60-70% Hf max
129-149 Schläge pro Minute
Leistung
70-80% Hf max
150-171 Schläge pro Minute
Maximalleistung
> 80% Hf max
> 172 Schläge pro Minute
In welchem der fünf Bereiche man sich in seinem Training bewegt bzw. bewegen möchte, ist vom eigentlichen Ziel des Trainings abhängig. Es würde an dieser Stelle zu weit führen zu erklären, wie man Trainingsziele und Pulswerte in Übereinstimmung bringt. Wer mehr über Trainingsplanung lernen möchte, dem seien die Bücher "Gutes Training schützt das Pferd" von Barbara Welter-Böller und Maximilian Welter sowie "Trainingslehre für Freizeitreiter" von Constanze Röhm empfohlen; für eine fundierte Praxiseinführung verweise ich gerne auf den Online-Kurs "Trainingsplanung aus medizinischer Sicht" von Dr. Veronika Klein.

In diesem Blogbeitrag sollen allerdings die verschiedenen Trainingsbereiche besser verständlich gemacht werden. Dies ist die Grundlage für die Interpretation von Pulswerten während des Trainings.
​Dazu ein Beispiel, das eine Pulsmessung bei einem 10jährigen Pferd in einer leichten Arbeitseinheit zeigt. Das Pferd wurde für diese Einheit entspannt auf grossen Linien in Dehnungshaltung geritten; die ganze Einheit dauerte etwas weniger lang als eine Stunde:
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Beispiel 2: Pulsmessung bei einem 10jährigen Pferd in einer leichten Arbeitseinheit unter dem Reiter.
Zuerst zur Interpretation der roten Pulslinie in Bezug auf die Anforderungen an das Pferd: Die ersten rund 8 Minuten Messung fanden noch am Putzplatz statt. Das Pferd stand also entspannt herum und hatte einen Ruhepuls von ca. 30 Schlägen pro Minute. Gegen Minute 8 wird es in Bewegung gesetzt, läuft vom Putzplatz auf dem Reitplatz und wird insgesamt während rund 20 Minuten im Schritt bewegt. Am Anfang sind einige Schwankungen der Linie erkennbar, bevor der Schrittpuls sich bei ca. 50-60 Schlägen pro Minute einpendelt. Die Schwankungen können in diesem Fall damit erklärt werden, dass der Weg zum Reitplatz neben einer kleinen Steigung und unebenen Böden auch einige zusätzliche Umweltreize bietet, bevor das Pferd sich auf dem Reitplatz offenbar auf die Arbeit konzentriert und einen konstanten Schritt mit konstantem Puls läuft.
Etwa bei Minute 25 wird angetrabt. Der Gangartenwechsel ist durch den relativ abrupten Pulsanstieg auf ca. 100-105 Schläge pro Minute gut sichtbar. Das Pferd läuft während rund 15 Minuten in einem offenbar regelmässigen Trab, wobei der Puls immer etwa gleich bleibt. Danach wird das Pferd zuerst auf der einen, anschliessend auf der anderen Hand ca. 2 Minuten galoppiert, wobei der Puls jeweils auf ca. 140 Schläge pro Minute ansteigt. Danach sinkt er rasant ab, während das Pferd noch für rund 10 Minuten im Schritt ausläuft. Am Ende der Einheit ist der Puls wieder auf ca. 40-45 Schläge pro Minute abgesunken.

​Neben der Pulslinie sind in dieser Grafik auch die Trainingsbereiche sichtbar. Die Zahlen links auf dem Grafen "S[chläge]/min" entsprechen den Zahlen, die wir in der obigen Tabelle für unser 10jähriges Beispielpferd berechnet hatten. Durch die unterschiedlichen Farben der Hintergründe werden die Trainingsbereiche nochmals besser sichtbar gemacht: grau ist der Bewegungsbereich bzw. alles unterhalb von Gesundheit, blau ist Gesundheit, grün ist Fitness, gelb ist Leistung und rot ist Maximalleistung.

Damit ist es uns möglich, die Pulsmessung grundsätzlich zu verstehen. Doch wie sind die Werte nun zu interpretieren und was können wir daraus lesen? - Hier kommen nun die Trainingsbereiche ins Spiel: Die Einheit ist für dieses Pferd offenbar primär Bewegungsprogramm, denn das Pferd kommt nur im Galopp über den reinen Trainingsbereich Bewegung hinaus. Für einen Pausentag kann das optimal sein, und wenn wir uns daran erinnern, dass das Pferd für diese Einheit locker in Dehnungshaltung geritten wurde, dann war diese Einheit auch sicher als Pausentag angesetzt gewesen, ohne dass ein überschwelliger Trainingsreiz gesetzt werden sollte.
Sofern es hingegen in dieser Einheit geplant gewesen wäre, einen überschwelligen Trainingsreiz zu setzen, dann zeigen die Pulswerte, dass dieses Ziel nicht erreicht worden wäre. Für einen überschwelligen Trainingsreiz ist es auf jeden Fall nötig, den Bewegungsbereich zu verlassen und verstärkt im Gesundheits- und Fitnessbereich zu arbeiten. Dies wäre bei diesem Pferd in dieser Einheit beispielsweise durch mehr Galopp und/oder durch die Erhöhung der Anforderungen im Trab (z.B. anspruchsvollere Lektionen oder mehr Versammlung) möglich gewesen. Letztlich ist es aber sehr individuell, was ein überschwelliger Trainingsreiz ist und wie ein solcher im Hinblick auf ein übergeordnetes Ziel überhaupt aussehen soll. (Auch hier verweise ich gerne wieder auf die genannten Bücher und den Online-Kurs.) Durch die Pulsmessung kann man die Trainingsintensität allerdings für das individuelle Pferd überprüfen und auch steuern.

Hier ein weiteres Beispiel für die Pulsmessung beim gleichen Pferd in der gleichen Woche. Erneut handelt es sich sichtlich um einen Pausentag. Dieses Mal wurden die Werte allerdings ohne Reitergewicht an der Longe genommen, wobei das Pferd viermal ca. fünf Minuten trabt, dazwischen sehr kurze Schritteinheiten für den Handwechsel:
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Beispiel 3: Pulsmessung beim gleichen 10jährigen Pferd in einer entspannten Longiereinheit.
Wiederum sind die Gangartenwechsel vom Anlaufen in den Schritt und vom Antraben bzw. Zurückführen in den Schritt in der Messlinie gut erkennbar. Der Trabpuls ist an der Longe gesamthaft etwas niedriger als im vorherigen Beispiel unter dem Sattel. Da die Einheiten aus den beiden Beispielen mit dem gleichen Pferd in der gleichen Woche gemessen wurden, ist der Unterschied wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass durch das Reitergewicht in Beispiel 2 ein etwas grösserer Trainingsreiz gesetzt wurde als an der Longe in Beispiel 3. Würden die Einheiten länger auseinanderliegen, wäre allenfalls auch ein anderer Fitnesszustand des Pferdes eine mögliche Erklärung.

In diesem Beispiel 3 gibt es beim Auslaufen am Ende der Einheit noch eine Auffälligkeit in der Pulsmessung: Und zwar gibt es hier plötzlich einige hohe Spitzen, an denen der Puls kurzzeitig in die Höhe schiesst. Um diese Spitzen zu interpretieren, ist es wiederum wichtig, den Kontext der Pulsmessung zu berücksichtigen: Das Pferd wurde nach dem Longieren nämlich ca. ab Minute 42 zum Auslaufen ins Gelände geführt, wobei die kleine Schrittrunde unter anderem an einer als sehr "gefährlich" empfundenen Hecke entlang führte. Dies erklärt den kurzzeitigen Pulsanstieg am Ende, der nicht durch eine körperliche Belastung, sondern durch die Schreckmomente zu erklären ist. 

​Ein letztes Beispiel zeigt eine weitere Pulsmessung, hier bei einem 9jährigen Pferd in einer Springgymnastikstunde:
Die gemessene Einheit dauert fast 2 Stunden, weil das Pferd zuerst zum etwas weiter entfernten Springplatz geführt wurde, dort während einer Stunde in der Gymnastikeinheit geritten wurde, bevor es anschliessend wieder in den heimischen Stall zurück geführt wurde. Auch hier wirken sich auf dem Weg einige Schreckmomente sowie am Schluss auf dem Heimweg eine etwas intensivere Steigung auf den Puls aus und führen zu einigen Spitzen aus dem Schritt-Puls nach oben.

In welchen Gangarten das Pferd wann geritten wurde, lässt sich in diesem Beispiel weiterum aus der Pulskurve ablesen: Bei Minute 40 wird offenbar für rund 10 Minuten angetrabt, es folgen zwei Galoppeinheiten von ca. 3-4 Minuten pro Hand. Danach sinkt der Puls relativ schnell ab, um später in vier Spitzen wieder relativ schnell und auch vergleichsweise hoch anzusteigen. Diese Spitzen sind die Einheiten, in denen der kleine Springparcours durchritten wurde. Dazwischen läuft das Pferd Schritt.

Betrachtet man die vier Spitzen im Springparcours, dann fällt auf, dass jede Spitze etwas höher geht als die Spitze davor. Auch der Puls in der Schrittphase geht nach jeder Spitze nicht ganz so weit zurück wie nach der vorhergehenden, sondern er bleibt auf einem etwas höheren Niveau. Daraus lässt sich eine leichte Ermüdung des Pferdes über die gesamte Einheit hinweg ablesen. Hier wird offensichtlich ein gewisser Trainingsreiz gesetzt. Der schnelle Abfall des Pulses in den Entspannungsphasen und der generell dann niedrige Puls zeigt aber deutlich, dass der Reiz zum Trainingszustand des Pferdes passt und nicht zu intensiv ist. Wenn dieses Pferd alle paar Tage einem derartigen, leicht überschwelligen Trainingsreiz ausgesetzt ist, wird sich sein Trainingszustand im Laufe der Zeit allmählich verbessern. Mit dem verbesserten Trainingszustand ist der Reiz dann wiederum anzupassen.
Anhang dieser vier Beispiele von Pulsmessungen wollte ich zeigen, was Pulswerte uns verraten können und wie sie zu lesen und zu interpretieren sind. Wie sich gezeigt hat, ist es dabei wichtig, immer auch den Kontext zu berücksichtigen, um beispielsweise einordnen zu können, ob ein Anstieg des Pulses durch eine körperliche Anstrengung, einen Schreckmoment oder einen Schmerzreiz ausgelöst wird.
Wer Pulskurven lesen kann, kann eine einzelne Trainingseinheit bewerten und künftige Trainingseinheiten planen. Über die Zeit hinweg kann damit ausserdem der Fitnesszustand eines Pferdes überwacht werden, und man kann überprüfen, ob er sich durch das Training verbessert - was in der Regel gewünscht wird -, ob er auf einem bestimmten Niveau stagniert oder ob er sich verschlechtert. Bei Letzterem hat man möglicherweise zu wenig trainiert oder man hat zu viele überschwellige Reize gesetzt bzw. nicht berücksichtigt, dass zu einem guten Training auch Pausentage gehören.

Je nach Ziel meines Trainings kann ich darauf hinarbeiten, mein Training in einem ganz bestimmten Pulsbereich durchzuführen oder mit den Bereichen bewusst zu spielen. Eine spannende Sache - aber definitiv zu viel für diesen ohnehin bereits eher langen Blogbeitrag. :-)
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<![CDATA[Was das Exterieur uns verraten kann]]>Thu, 25 May 2023 22:00:00 GMThttp://www.monika-studer.ch/blog/was-das-exterieur-uns-verraten-kann
Diese Woche hatte mein zehnjähriger Wallach Fino einen Tierarzttermin für eine Lahmheitsdiagnose. Dabei war er nie offensichtlich lahm gewesen. Ich selber bin als osteopathische Pferdetherapeutin geschult darin, Lahmheitsanzeichen zu erkennen, doch habe ich trotz genauem Hinschauen nichts Eindeutiges gesehen. Und ich war regelmässig mit Fino in Reitstunden, so dass er auch unter den Augen anderer Pferde(fach)leute gearbeitet wurde, doch hatte nie jemand zu mir gesagt, dass mein Pferd irgendwie unklar gehen würde. Eher im Gegenteil: Gerade vergangene Woche war in der Reitstunde wieder sein toller Takt gelobt worden... Überhaupt lief er immer eifrig, fleissig und zufrieden, und ich arbeitete ihn systematisch nach einem individuell angefertigten Trainingsplan. Finos Pulswerte, die ich immer mal wieder nehme, um unser Training zu überprüfen, zeigten eine ausgezeichnete Grundkondition und lieferten keinerlei Anzeichen zur Besorgnis. Er war immer fröhlich, ausgelassen, voller Bewegungsdrang: sei es bei der Arbeit oder im Aktivstall, in dem er in der Herde lebt und sich tatsächlich sehr viel bewegt, rennt und spielt. Ich hatte mich mit dem Schmerzethogramm von Sue Dyson auseinandergesetzt, und da trafen auf Fino nur drei bis vier der Verwaltensweisen zu, die auf Schmerz hindeuteten. (Zwei Verhaltensweisen werden als völlig normal angesehen, ab acht Verhaltensweisen ist definitiv von einer Lahmheit auszugehen.) Also eigentlich ganz viele Hinweise darauf, dass ich ein völlig gesundes Pferd hatte und völlig problemlos weitertrainieren konnte.
Und trotzdem veranlasste ich jetzt eine tierärztliche Lahmheitsdiagnostik. Denn Fino blieb trotz kontinuierlichem Training über Monate hinweg ungleich bemuskelt und zeigte andere körperliche Auffälligkeiten, die mir nicht gefielen und die anzeigten, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte ein ungutes Bauchgefühl, denn das sollte so nicht sein.
Besonders das Bein vorne links bereitete mir Sorgen, denn unter Belastung entwickelten sich immer wieder Gallen in der Fesselbeugesehnenscheide, die teilweise sogar hart wurden, bevor sie wieder verschwanden, um dann erneut hervorzutreten. Ausserdem war Fino vorne links stärker bemuskelt als vorne rechts, was deutlich zeigte, dass er mit dem vorderen linken Bein mehr arbeitete als mit dem vorderen rechten Bein. Im linken Ellenbogen schnappte zudem auf weichem Untergrund immer wieder hörbar ein Band, was ebenfalls keineswegs normal ist. Und seit Kurzem bildeten sich nun auch vorne rechts leichte Gallen, die nahelegten, dass vorne links offenbar bereits so überlastet war, dass nun vorne rechts kompensieren musste und dadurch dort ebenfalls überlastete. Und woher kam diese Überbelastung vorne links? Seit Monaten, wenn nicht sogar seit Jahren, gab ich mir grosse Mühe, Finos offenbar sehr starke natürliche Schiefe durch Training auszugleichen, aber es gelang mir einfach nicht. Auch an der Hinterhand sah ich muskuläre Disbalancen, die eindeutig aufzeigten, dass Fino hinten rechts vor allem im Bereich des Knies weniger bemuskelt war als hinten links, also hinten ebenfalls das linke Bein mehr belastete. Ausserdem bog er sich links deutlich schlechter als rechts und sprang auf linker Hand an der Longe und bei der Freiarbeit bevorzugt im Rechtsgalopp an.
Bei mir schrillten also die Alarmglocken und i
ch war stark verunsichert. Ich erkannte mein Pferd zwar nicht als lahm, aber vom Exterieur her als auffällig und besorgniserregend. Wieso schaffte ich es nicht, dass er seine Gliedmassen gleichmässig belastete und entsprechend aufmuskelte? War die ungleiche Bemuskelung tatsächlich nur auf seine natürliche Schiefe zurückzuführen und auf meine eigene Unfähigkeit, diese durch sinnvolles Training auszugleichen? Oder steckte doch ein gesundheitliches Problem und eine bisher unentdeckte Lahmheit dahinter, dass er so unterschiedlich belastete? 

Deswegen wollte ich jetzt also eine tierärztliche Lahmheitsdiagnostik. Ich wollte den Grund für diese Auffälligkeiten im Exterieur herausfinden, möglichst bevor es zu langfristigen Problemen und tatsächlichen Lahmheiten kommen würde! Denn gerade Hinterhandlahmheiten sind bisweilen im Gangbild nur sehr schwer zu erkennen und leicht zu übersehen und führen dann häufig zu sekundären, dramatischeren Lahmheiten der Vorhand.
So war ich denn auch nicht allzu überrascht, als der Tierarzt mir bestätigte, dass Fino tatsächlich hinten lahmen würde. Die Lahmheit war nur sehr gering und kaum zu erkennen: Auf der Geraden wurde sie erst nach der Beugeprobe sichtbar, und auf gebogener Linie zeigte sie sich ausschliesslich auf derjenigen Hand, auf der das lahme Hinterbein den weiteren Weg hatte. Überrascht war ich dann allerdings davon, welches Hinterbein der Tierarzt als lahm erkannte: Es war nämlich nicht, wie von mir vermutet, hinten rechts, sondern hinten links! 
Der  anschliessende Ultraschall des linken Knies zeigte ein leicht gefülltes Gelenk, und in der röntgenologischen Untersuchung fanden sich Befunde im linken Fesselgelenk und im linken Knie. Diese verursachten offenbar diese Lahmheit hinten links. Doch wie passte das mit meinen eigenen Beobachtungen aus der Exterieuranalyse zusammen?
Unter anderem aufgrund meiner Schilderung der Symptomatik sowie meines Erstaunens darüber, dass Fino hinten links und nicht hinten rechts lahm war, röntgte der Tierarzt dann auch noch das rechte Knie. Und dort gab es weitere Befunde, die grundsätzlich noch gravierender waren als jene links, offenbar aber aktuell nicht zu einer Lahmheit führten. Somit setzte sich das Puzzle zusammen: Wahrscheinlich war Fino zuerst hinten rechts (leicht?) lahm gewesen, was dazu geführt hatte, dass er in der Folge hinten links überlastete. Dies verursachte die aktuell sichtbare Lahmheit hinten links. Möglicherweise wechseln die Lahmheiten hinten sich auch immer mal wieder ab, wobei zum Zeitpunkt der Diagnose das linke Hinterbein symptomatisch war, obwohl das rechte Hinterbein die schwerwiegenderen Befunde hat. Die Überlastung vorne links kommt wahrscheinlich, wie ich schon im Vornherein vermutet hatte, von hinten und ist auf die Kompensation für die ungenügend arbeitende Hinterhand zurückzuführen. Und als letztes Bein scheint nun auch vorne rechts mit der Gallenbildung auf diese Überlastungen aller anderen Gliedmassen zu reagieren.

Alles in allem also ein ernüchterndes Bild: wahrscheinlich vier behandlungsbedürftige Beine - und das bei einem Pferd, das bisher nie als lahm erkannt worden war! Auf diesen Tierarztbesuch werden für uns nun noch weitere folgen. Bisher wurde erst das linke Knie und damit die akute Lahmheit behandelt; die anderen Baustellen gehen wir später an. Trotz der vielen Befunde und der noch nicht abgeschlossenen Diagnostik - die Vorderbeine sind wir noch gar nicht angegangen - war der Tierarzt aber relativ zuversichtlich, dass das gut kommen wird und wir die Lahmheit(en) und die körperlichen Probleme in den Griff bekommen werden. Ich hoffe natürlich sehr, dass er recht behalten wird und wir früh genug gehandelt haben. Wenn ich die Auffälligkeiten im Exterieur nicht ernst genommen und nicht auf mein Bauchgefühl gehört hätte, wäre Fino möglicherweise in absehbarer Zeit vorne links mit einem Sehnen- oder Fesselträgerschaden deutlich lahm gewesen, und die degenerativen Veränderungen in der Hinterhand hätten wahrscheinlich ebenfalls zu grösseren Problemen geführt, als sie es nun hoffentlich tun werden.

Mit diesem persönlichen Bericht zur Lahmheit meines Pferdes möchte ich verschiedene Dinge sagen:
1. Lahmheiten sind nicht immer eindeutig zu erkennen. Gerade Hinterhandlahmheiten sind tückisch und können sehr versteckt sein. Auch als Therapeutin oder Tierarzt ist es nicht selbstverständlich, dass man sie erkennt. Ich selber habe diese Lahmheit meines eigenen Pferdes nicht gesehen. Im Zweifelsfall sollte man immer eine Zweitmeinung einholen, um eine Lahmheit möglichst schnell erkennen und behandeln zu können. Oder man lässt sich gelegentlich filmen, um das Gangbild aus der Aussenperspektive besser beurteilen zu können. Je früher ein Problem erkannt wird, umso besser!
2. Das Exterieur des Pferdes kann uns sehr viel verraten. Muskuläre Veränderungen zeigen sich bereits nach acht bis zehn Wochen. Ein Pferd, das gut und korrekt trainiert wird, sollte also innerhalb von wenigen Monaten gut aufmuskeln und seine "natürliche Schiefe" ausgleichen. Wenn ein Training über einen längeren Zeitraum nicht anschlägt und das Pferd trotz korrektem Training nicht gleichmässig aufmuskelt, liegt es nahe, ein körperliches Problem zu vermuten. Dann sollten weitere Abklärungen getätigt werden. Es ist nicht normal, dass ein Pferd monate- oder sogar jahrelang mit seiner "natürlichen Schiefe" zu kämpfen hat. In einem solchen Fall ist die vermeintliche Schiefe wahrscheinlich eine Lahmheit.
3. Lass dir von deinem Tierarzt oder Therapeuten zeigen, worauf du achten kannst, um die Bemuskelung deines Pferdes zu überprüfen. Wenn du selber detailliert lernen möchtest, Lahmheitsanzeichen zu erkennen, kann ich dir ausserdem den Onlinekurs "Ganganalyse" von OsteoDressage sehr ans Herz legen. Ein toller Kurs, der ganz viele Punkte anspricht und mit viel Videomaterial hilft, selber sehen zu lernen.

4. Du selber kennst dein Pferd am besten. Also höre auf dein Bauchgefühl! Wenn dir etwas komisch erscheint oder wenn dein Pferd sich nicht so entwickelt, wie es das angesichts deines Trainings eigentlich sollte, zieh einen Tierarzt oder Therapeuten zu Rate. Es nützt weder dir noch deinem Pferd, wenn du mit einem unguten Bauchgefühl einfach weitertrainierst - im Gegenteil! 
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Vorne links ist stärker bemuskelt als vorne rechts
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Hinten links ist stärker bemuskelt als hinten rechts
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Gefüllte Fesselbeugesehnenscheide
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<![CDATA[Buchrezension: Trainingslehre für Freizeitreiter, von Constanze Röhm]]>Sat, 10 Sep 2022 22:00:00 GMThttp://www.monika-studer.ch/blog/buchrezension-trainingslehre-fuer-freizeitreiter
Es gibt wenige Bücher über Pferdetraining. Erst recht im Freizeitreiterbereich, der sich gerne von der "Sportreiterei" distanziert. In den letzten Jahren hat sich aber auch in den Köpfen der Freizeitreiter*innen mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass überlegtes, individuelles Training nicht nur sinnvoll, sondern essenziell für die Gesunderhaltung unserer (Reit-)Pferde ist. Ob man mit seinem Pferd primär durch den Wald gondeln, gelegentliche Springstunden im Reitverein absolvieren oder es regelmässig als Handpferd auf Spazierritte mitführen möchte: unsere Pferde müssen auf jede Leistung, die wir ihnen abverlangen, vorbereitet werden, damit sie sie langfristig gesund, fit und zufrieden ausführen können.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr erfreulich, dass in den letzten Jahren verschiedene Buchpublikationen sowie Online-Kurse zum Thema Pbferdetraining erschienen sind, die sich explizit an Freizeitreiter*innen richten. Constanze Röhms neues Buch "Trainingslehre für Freizeitreiter" reiht sich in diese Tradition ein. Die Tatsache, dass eine der renommiertesten Expertinnen für Pferdeernährung ein Buch über Pferdetraining geschrieben hat, zeigt, dass Training eben weit mehr als "nur Sport" ist. Detailliert erklärt die Pferdewissenschaftlerin, was unter Training zu verstehen ist, was dabei im Körper geschieht und welche Art von Training für welches Ziel sinnvoll ist. Wer Constanze Röhm kennt, weiss, dass sie ihre Inhalte wissenschaftlich akribisch, aber verständlich und mit einer guten Portion Humor zu vermitteln weiss. Dies ist ihr auch im vorliegenden Buch hervorragend gelungen.
Die "Trainingslehre für Freizeitreiter" beginnt mit Begriffsdefinitionen: beispielsweise für Sport, für Training, für Fitness, für Belastung. Es folgt eine Erklärung der verschiedenen Stoffwechseltypen und ihrer unterschiedlichen Arten der Energiegewinnung. Danach wird auf Muskelaktivität und verschiedene Muskeltypen eingegangen, bevor die Zusammenhänge von Training und Ernährung sowie die verschiedenen Organe des Pferdes und ihre Bedeutung für das Training thematisiert werden. Ein bedeutendes Kapitel widmet sich dem Thema Adipositas und den damit verbundenen Gefahren für den Organismus. Anschliessend geht es um die verschiedenen Phasen des Pferdetrainings sowie um den eigentlichen Trainingsplan inklusive Erörterung der Bedeutung von Pulswerten und Trainingspausen. Es folgen Ausführungen zu verschiedenen Arten von Intervalltraining sowie Kapitel zu Training von Pferden mit Adipositas, mit Lungenerkrankungen und mit Bewegungseinschränkungen. Wer Esel und Maultiere trainieren möchte, findet ebenfalls ergänzende Informationen. Am Schluss steht eine kurze philosophische Abhandlung darüber, dass man sein eigenes "Warum" definieren müsse.

Mein Fazit: Ein wichtiges Buch über Training, Trainingsvoraussetzungen und -konsequenzen, das sehr viel sehr gut und sehr tief präsentiert! Wer sich bereits ein Basiswissen über Trainingslehre angeeignet hat, der wird eine Fülle an zusätzlichen und vertieften Informationen finden und sehr viele Aha-Erlebnisse haben. 
Um sich zum ersten Mal dem Thema Pferdetraining und Trainingsplanung anzunähern, finde ich das Buch hingegen zu komplex. Auch für die konkrete Erstellung eines Trainingsplans kann ich es nur bedingt empfehlen, zumal die genaue Anleitung meines Erachtens zu kurz kommt. Wer einen Trainingsplan erstellen möchte, dem bzw. der möchte ich eher die praxisorientierten Online-Kurse von Kernkompetenz Pferd und / oder OsteoDressage ans Herz legen.
Für vertieftes Hintergrundwissen und nicht zuletzt für Zusatzinformationen zu den spezifischen Bedürfnissen von Pferden mit bestimmten Einschränkungen - beispielsweise Adipositas oder Lungenerkrankungen - ist Constanze Röhms Buch hingegen eine unerlässliche Ergänzung, die in diesen Bereichen auch sehr praxisnah und konkret ist. Während die meisten anderen Lehrmittel über Pferdetraining und Trainingsplanung den Bewegungsapparat ins Zentrum rücken, zeigt Constanze Röhm deutlich auf, dass noch diverse andere Komponenten zu berücksichtigen sind. Sie beleuchtet sowohl die molekulare Ebene als auch das grosse Ganze, und sie schreibt sehr informativ und unterhaltsam. ​Ihr neues Buch ist ein absolutes Muss für alle, die sich für Pferdetraining mit all seinen Facetten interessieren. Und auch wenn die Freizeitreiter im Titel stehen, ist es in seiner Tiefe ein Buch, das definitiv nicht nur Freizeitreiter ansprechen wird.
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<![CDATA[Kinesiotaping beim Pferd]]>Sat, 30 Jul 2022 22:00:00 GMThttp://www.monika-studer.ch/blog/kinesiotaping-beim-pferd
Kinetische oder auch kinesiologische Tapes bzw. Kinesiotapes sind wertvolle Helfer in der manuellen Therapie und im Training. Im Namen steckt der griechische Begriff kinesis, der Bewegung bedeutet. Der Begriff tape bedeutet Band. Insofern könnte man auf Deutsch auch von einem Bewegungsband sprechen.
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Taping ist eine materialintensive Angelegenheit. Je nach Indikation sind unterschiedliche Tapes sinnvoll und unterschiedliche Materialien notwendig. Eine speziell beschichtete Schere ermöglicht das problemlose Schneiden der mit Kleber beschichteten Gewebestreifen.
Die bunten, elastischen Klebestreifen wurden in den 1970er Jahren in Japan entwickelt, gelangten aber erst gegen die Jahrtausendwende nach Europa. Mittlerweile sind sie aus der Physiotherapie und dem Sport nicht mehr wegzudenken.

Kinesiotapes bestehen aus einem dehnbaren Baumwollgewebe, das einseitig in Wellenform mit einem Acrylatkleber beschichtet ist. Das beschichtete Gewebe ist mit einer zehnprozentigen Vordehnung auf das Trägerpapier angebracht. Insgesamt lassen sich die Tapes um rund 30 bis 40 Prozent ihrer Ursprungslänge dehnen. Ihre Dehnbarkeit geschieht dabei ausschliesslich in Längsrichtung.
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Das Spacetape wirkt wie ein Schröpfkopf und entlastet komprimierte Strukturen, beispielsweise in der Sattellage.
Bei Pferden wirken Tapes fast noch besser als bei Menschen, weil sie nicht nur über die Haut, sondern auch über das Fell ihre Wirkung entfalten. Unter der Haut befindet sich die oberflächliche Körperfaszie, die das hauptsächliche Ziel der Tapes ist.
Die Funktionen der Tapes sind unterschiedlich. Ich verwende die Tapes einerseits in bzw. nach der osteopathischen Behandlung, um den Behandlungserfolg zu manifestieren. Beispielsweise kann eine Tapeanlage dabei helfen, Behandlungen zu stabilisieren (z.B. ein korrigiertes Becken) oder Kompressionspunkte zu minimieren (z.B. in der Sattellage). Andererseits setze ich Tapes im Training ein, um ein Bewusstsein auf bestimmte Körperregionen zu lenken und physiologische Bewegungsmuster zu fördern.
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Nach einer osteopathischen Behandlung des Beckens kann ein Tape dabei helfen, den Behandlungserfolg zu verstärken.
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Fesselkopftapes stützen den Fesselkopf und den Fesseltrageapparat von unten. Sie können im Training oder in der Rehabilitation eingesetzt werden, beispielsweise nach Sehnenverletzungen oder bei starker Durchtrittigkeit.
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Das Gittertape über dem alten Muskelfaserriss hilft dabei, das verletzte Gewebe wieder neuronal zu integrieren.
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Ein Tape des CTÜ - des cervicothorakalen Übergangs, der die Brust- mit der Halswirbelsäule verbindet - wirkt wir ein Halsring und animiert das Pferd beim Training, seinen Hals mit angehobenem Brustkorb fallen zu lassen.

Um Tapes korrekt anbringen zu können, ist ein gutes anatomisches Verständnis notwendig. Falsch angebrachte Tapes behindern Bewegung und bewirken somit genau das Gegenteil dessen, was erreicht werden sollte.
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