Im Pferdetraining mit Pulswerten arbeiten: Ich geb's zu, ich bin ein Fan davon! Wer Pulswerte nehmen und diese interpretieren und kontextualisieren kann, erfährt sehr viel. Pulswerte dienen nicht nur der Bestimmung des Fitnesszustands deines Pferdes und der Überprüfung und Optimierung deines Trainings, sondern helfen beispielsweise auch beim Eruieren von Schmerzen, Überforderung und Befindlichkeiten. Doch was sind überhaupt Pulswerte und wie kann ich die Werte meines Pferdes interpretieren und damit arbeiten? Darum geht es im folgenden Blogbeitrag. In einem zweiten Teil möchte ich dir, zu einem späteren Zeitpunkt und da ich schon oft danach gefragt wurde, das Polar-Pulsmessgerät für Pferde vorstellen, mit dem ich selber am liebsten arbeite. Das Wort "Puls" kommt von Lateinisch "pulsus" ("Stoss") bzw. "pulsare" ("klopfen"). Der Puls ist, vereinfacht gesagt, der Herzschlag, der sich durch die Blutbahnen bewegt. Dieser ist messbar. Über einen bestimmten Zeitraum gemessen, verrät der Puls die sogenannte Herzfrequenz, also die Anzahl Herzschläge während dieser Zeiteinheit. In der Regel misst man den Puls bzw. die Herzfrequenz pro Minute. Je nachdem, ob der Körper sich in Ruhe oder in Anstrengung befindet, ist ein eher tieferer oder höherer Pulswert normal. Pferde haben, im Vergleich zum Menschen, einen recht niedrigen Ruhepuls. Dieser liegt bei ca. 30-40 Schlägen pro Minute. Hat ein Pferd in Ruhe einen deutlich höheren Pulswert als 40 Schläge pro Minute, ist dies ein wichtiges Warnsignal: Möglicherweise hat das Pferd in dieser Situation Schmerzen oder steht unter Stress. Das folgende Beispiel zeigt die Pulsmessung bei einem Pferd mit akutem Wendeschmerz. Die Messung wurde gemacht, während das Pferd im Schlenderschritt einem Waldweg entlang Gras zupfen durfte. In der Messung zeigt sich ein Puls weitgehend auf Ruheniveau, der immer wieder in Spitzen kurz nach oben schnellt. In Echtzeit beobachtet waren das genau die Situationen, in denen das schmerzhafte Bein des Pferdes durch Wendungen kurzzeitig verstärkt belastet wurde. Die Pulsmessung zeigt uns hier also den sehr punktuellen Schmerz an. Ansonsten bewegte sich der Puls des Pferdes während des Graszupf-Schlenderschritts weitgehend im Ruhebereich. Neben dem Ruhepuls ist, am oberen Ende der Puls-Skala, die maximale Herzfrequenz eine wichtige Grösse. Im Unterschied zum Ruhepuls, der altersunabhängig bei den bereits erwähnten 30-40 Schlägen pro Minute liegt, ändert sich die maximale Herzfrequenz im Laufe eines Lebens und sinkt mit zunehmendem Alter leicht ab. Für die Berechnung der maximalen Herzfrequenz eines Pferdes (Hf max) wird die folgende Formel angewendet: Hf max = 223 - (Alter des Pferdes x 0.9) Um das mit einem Beispiel zu veranschaulichen: Ein 10jähriges Pferd hat eine maximale Herzfrequenz von 214 Schlägen pro Minute. Bei einem 20jährigen Pferd liegt die maximale Herzfrequenz bei 205 Schlägen pro Minute. In anderen Worten: Mit dem Alter sinkt auch die Belastbarkeit des Pferdes. Im Training selber arbeitet man als "normaler" Freizeit- oder Sportreiter nicht im Maximalbereich der Herzleistung. Ohne ärztliche Überwachung wäre es gefährlich, bis an die Grenze zu gehen. Trotzdem ist es wichtig, dass man die maximales Herzfrequenz und damit die Leistungsgrenze kennt, denn auf ihrer Basis lassen sich verschiedene Trainingsbereiche berechnen, in denen man sich bewegt und die man auch bewusst ansteuern kann, um sein eigenes Training zu überprüfen und zu verbessern. Trainingsphysiologisch werden fünf Bereiche unterschieden, die im Verhältnis zur maximalen Herzfrequenz definiert werden und die entsprechend vom Alter des Pferdes abhängig sind:
In welchem der fünf Bereiche man sich in seinem Training bewegt bzw. bewegen möchte, ist vom eigentlichen Ziel des Trainings abhängig. Es würde an dieser Stelle zu weit führen zu erklären, wie man Trainingsziele und Pulswerte in Übereinstimmung bringt. Wer mehr über Trainingsplanung lernen möchte, dem seien die Bücher "Gutes Training schützt das Pferd" von Barbara Welter-Böller und Maximilian Welter sowie "Trainingslehre für Freizeitreiter" von Constanze Röhm empfohlen; für eine fundierte Praxiseinführung verweise ich gerne auf den Online-Kurs "Trainingsplanung aus medizinischer Sicht" von Dr. Veronika Klein. In diesem Blogbeitrag sollen allerdings die verschiedenen Trainingsbereiche besser verständlich gemacht werden. Dies ist die Grundlage für die Interpretation von Pulswerten während des Trainings. Dazu ein Beispiel, das eine Pulsmessung bei einem 10jährigen Pferd in einer leichten Arbeitseinheit zeigt. Das Pferd wurde für diese Einheit entspannt auf grossen Linien in Dehnungshaltung geritten; die ganze Einheit dauerte etwas weniger lang als eine Stunde: Zuerst zur Interpretation der roten Pulslinie in Bezug auf die Anforderungen an das Pferd: Die ersten rund 8 Minuten Messung fanden noch am Putzplatz statt. Das Pferd stand also entspannt herum und hatte einen Ruhepuls von ca. 30 Schlägen pro Minute. Gegen Minute 8 wird es in Bewegung gesetzt, läuft vom Putzplatz auf dem Reitplatz und wird insgesamt während rund 20 Minuten im Schritt bewegt. Am Anfang sind einige Schwankungen der Linie erkennbar, bevor der Schrittpuls sich bei ca. 50-60 Schlägen pro Minute einpendelt. Die Schwankungen können in diesem Fall damit erklärt werden, dass der Weg zum Reitplatz neben einer kleinen Steigung und unebenen Böden auch einige zusätzliche Umweltreize bietet, bevor das Pferd sich auf dem Reitplatz offenbar auf die Arbeit konzentriert und einen konstanten Schritt mit konstantem Puls läuft. Etwa bei Minute 25 wird angetrabt. Der Gangartenwechsel ist durch den relativ abrupten Pulsanstieg auf ca. 100-105 Schläge pro Minute gut sichtbar. Das Pferd läuft während rund 15 Minuten in einem offenbar regelmässigen Trab, wobei der Puls immer etwa gleich bleibt. Danach wird das Pferd zuerst auf der einen, anschliessend auf der anderen Hand ca. 2 Minuten galoppiert, wobei der Puls jeweils auf ca. 140 Schläge pro Minute ansteigt. Danach sinkt er rasant ab, während das Pferd noch für rund 10 Minuten im Schritt ausläuft. Am Ende der Einheit ist der Puls wieder auf ca. 40-45 Schläge pro Minute abgesunken. Neben der Pulslinie sind in dieser Grafik auch die Trainingsbereiche sichtbar. Die Zahlen links auf dem Grafen "S[chläge]/min" entsprechen den Zahlen, die wir in der obigen Tabelle für unser 10jähriges Beispielpferd berechnet hatten. Durch die unterschiedlichen Farben der Hintergründe werden die Trainingsbereiche nochmals besser sichtbar gemacht: grau ist der Bewegungsbereich bzw. alles unterhalb von Gesundheit, blau ist Gesundheit, grün ist Fitness, gelb ist Leistung und rot ist Maximalleistung. Damit ist es uns möglich, die Pulsmessung grundsätzlich zu verstehen. Doch wie sind die Werte nun zu interpretieren und was können wir daraus lesen? - Hier kommen nun die Trainingsbereiche ins Spiel: Die Einheit ist für dieses Pferd offenbar primär Bewegungsprogramm, denn das Pferd kommt nur im Galopp über den reinen Trainingsbereich Bewegung hinaus. Für einen Pausentag kann das optimal sein, und wenn wir uns daran erinnern, dass das Pferd für diese Einheit locker in Dehnungshaltung geritten wurde, dann war diese Einheit auch sicher als Pausentag angesetzt gewesen, ohne dass ein überschwelliger Trainingsreiz gesetzt werden sollte. Sofern es hingegen in dieser Einheit geplant gewesen wäre, einen überschwelligen Trainingsreiz zu setzen, dann zeigen die Pulswerte, dass dieses Ziel nicht erreicht worden wäre. Für einen überschwelligen Trainingsreiz ist es auf jeden Fall nötig, den Bewegungsbereich zu verlassen und verstärkt im Gesundheits- und Fitnessbereich zu arbeiten. Dies wäre bei diesem Pferd in dieser Einheit beispielsweise durch mehr Galopp und/oder durch die Erhöhung der Anforderungen im Trab (z.B. anspruchsvollere Lektionen oder mehr Versammlung) möglich gewesen. Letztlich ist es aber sehr individuell, was ein überschwelliger Trainingsreiz ist und wie ein solcher im Hinblick auf ein übergeordnetes Ziel überhaupt aussehen soll. (Auch hier verweise ich gerne wieder auf die genannten Bücher und den Online-Kurs.) Durch die Pulsmessung kann man die Trainingsintensität allerdings für das individuelle Pferd überprüfen und auch steuern. Hier ein weiteres Beispiel für die Pulsmessung beim gleichen Pferd in der gleichen Woche. Erneut handelt es sich sichtlich um einen Pausentag. Dieses Mal wurden die Werte allerdings ohne Reitergewicht an der Longe genommen, wobei das Pferd viermal ca. fünf Minuten trabt, dazwischen sehr kurze Schritteinheiten für den Handwechsel: Wiederum sind die Gangartenwechsel vom Anlaufen in den Schritt und vom Antraben bzw. Zurückführen in den Schritt in der Messlinie gut erkennbar. Der Trabpuls ist an der Longe gesamthaft etwas niedriger als im vorherigen Beispiel unter dem Sattel. Da die Einheiten aus den beiden Beispielen mit dem gleichen Pferd in der gleichen Woche gemessen wurden, ist der Unterschied wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass durch das Reitergewicht in Beispiel 2 ein etwas grösserer Trainingsreiz gesetzt wurde als an der Longe in Beispiel 3. Würden die Einheiten länger auseinanderliegen, wäre allenfalls auch ein anderer Fitnesszustand des Pferdes eine mögliche Erklärung. In diesem Beispiel 3 gibt es beim Auslaufen am Ende der Einheit noch eine Auffälligkeit in der Pulsmessung: Und zwar gibt es hier plötzlich einige hohe Spitzen, an denen der Puls kurzzeitig in die Höhe schiesst. Um diese Spitzen zu interpretieren, ist es wiederum wichtig, den Kontext der Pulsmessung zu berücksichtigen: Das Pferd wurde nach dem Longieren nämlich ca. ab Minute 42 zum Auslaufen ins Gelände geführt, wobei die kleine Schrittrunde unter anderem an einer als sehr "gefährlich" empfundenen Hecke entlang führte. Dies erklärt den kurzzeitigen Pulsanstieg am Ende, der nicht durch eine körperliche Belastung, sondern durch die Schreckmomente zu erklären ist. Ein letztes Beispiel zeigt eine weitere Pulsmessung, hier bei einem 9jährigen Pferd in einer Springgymnastikstunde: Die gemessene Einheit dauert fast 2 Stunden, weil das Pferd zuerst zum etwas weiter entfernten Springplatz geführt wurde, dort während einer Stunde in der Gymnastikeinheit geritten wurde, bevor es anschliessend wieder in den heimischen Stall zurück geführt wurde. Auch hier wirken sich auf dem Weg einige Schreckmomente sowie am Schluss auf dem Heimweg eine etwas intensivere Steigung auf den Puls aus und führen zu einigen Spitzen aus dem Schritt-Puls nach oben. In welchen Gangarten das Pferd wann geritten wurde, lässt sich in diesem Beispiel weiterum aus der Pulskurve ablesen: Bei Minute 40 wird offenbar für rund 10 Minuten angetrabt, es folgen zwei Galoppeinheiten von ca. 3-4 Minuten pro Hand. Danach sinkt der Puls relativ schnell ab, um später in vier Spitzen wieder relativ schnell und auch vergleichsweise hoch anzusteigen. Diese Spitzen sind die Einheiten, in denen der kleine Springparcours durchritten wurde. Dazwischen läuft das Pferd Schritt. Betrachtet man die vier Spitzen im Springparcours, dann fällt auf, dass jede Spitze etwas höher geht als die Spitze davor. Auch der Puls in der Schrittphase geht nach jeder Spitze nicht ganz so weit zurück wie nach der vorhergehenden, sondern er bleibt auf einem etwas höheren Niveau. Daraus lässt sich eine leichte Ermüdung des Pferdes über die gesamte Einheit hinweg ablesen. Hier wird offensichtlich ein gewisser Trainingsreiz gesetzt. Der schnelle Abfall des Pulses in den Entspannungsphasen und der generell dann niedrige Puls zeigt aber deutlich, dass der Reiz zum Trainingszustand des Pferdes passt und nicht zu intensiv ist. Wenn dieses Pferd alle paar Tage einem derartigen, leicht überschwelligen Trainingsreiz ausgesetzt ist, wird sich sein Trainingszustand im Laufe der Zeit allmählich verbessern. Mit dem verbesserten Trainingszustand ist der Reiz dann wiederum anzupassen. Anhang dieser vier Beispiele von Pulsmessungen wollte ich zeigen, was Pulswerte uns verraten können und wie sie zu lesen und zu interpretieren sind. Wie sich gezeigt hat, ist es dabei wichtig, immer auch den Kontext zu berücksichtigen, um beispielsweise einordnen zu können, ob ein Anstieg des Pulses durch eine körperliche Anstrengung, einen Schreckmoment oder einen Schmerzreiz ausgelöst wird.
Wer Pulskurven lesen kann, kann eine einzelne Trainingseinheit bewerten und künftige Trainingseinheiten planen. Über die Zeit hinweg kann damit ausserdem der Fitnesszustand eines Pferdes überwacht werden, und man kann überprüfen, ob er sich durch das Training verbessert - was in der Regel gewünscht wird -, ob er auf einem bestimmten Niveau stagniert oder ob er sich verschlechtert. Bei Letzterem hat man möglicherweise zu wenig trainiert oder man hat zu viele überschwellige Reize gesetzt bzw. nicht berücksichtigt, dass zu einem guten Training auch Pausentage gehören. Je nach Ziel meines Trainings kann ich darauf hinarbeiten, mein Training in einem ganz bestimmten Pulsbereich durchzuführen oder mit den Bereichen bewusst zu spielen. Eine spannende Sache - aber definitiv zu viel für diesen ohnehin bereits eher langen Blogbeitrag. :-)
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