Diese Woche hatte mein zehnjähriger Wallach Fino einen Tierarzttermin für eine Lahmheitsdiagnose. Dabei war er nie offensichtlich lahm gewesen. Ich selber bin als osteopathische Pferdetherapeutin geschult darin, Lahmheitsanzeichen zu erkennen, doch habe ich trotz genauem Hinschauen nichts Eindeutiges gesehen. Und ich war regelmässig mit Fino in Reitstunden, so dass er auch unter den Augen anderer Pferde(fach)leute gearbeitet wurde, doch hatte nie jemand zu mir gesagt, dass mein Pferd irgendwie unklar gehen würde. Eher im Gegenteil: Gerade vergangene Woche war in der Reitstunde wieder sein toller Takt gelobt worden... Überhaupt lief er immer eifrig, fleissig und zufrieden, und ich arbeitete ihn systematisch nach einem individuell angefertigten Trainingsplan. Finos Pulswerte, die ich immer mal wieder nehme, um unser Training zu überprüfen, zeigten eine ausgezeichnete Grundkondition und lieferten keinerlei Anzeichen zur Besorgnis. Er war immer fröhlich, ausgelassen, voller Bewegungsdrang: sei es bei der Arbeit oder im Aktivstall, in dem er in der Herde lebt und sich tatsächlich sehr viel bewegt, rennt und spielt. Ich hatte mich mit dem Schmerzethogramm von Sue Dyson auseinandergesetzt, und da trafen auf Fino nur drei bis vier der Verwaltensweisen zu, die auf Schmerz hindeuteten. (Zwei Verhaltensweisen werden als völlig normal angesehen, ab acht Verhaltensweisen ist definitiv von einer Lahmheit auszugehen.) Also eigentlich ganz viele Hinweise darauf, dass ich ein völlig gesundes Pferd hatte und völlig problemlos weitertrainieren konnte. Und trotzdem veranlasste ich jetzt eine tierärztliche Lahmheitsdiagnostik. Denn Fino blieb trotz kontinuierlichem Training über Monate hinweg ungleich bemuskelt und zeigte andere körperliche Auffälligkeiten, die mir nicht gefielen und die anzeigten, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte ein ungutes Bauchgefühl, denn das sollte so nicht sein.
Besonders das Bein vorne links bereitete mir Sorgen, denn unter Belastung entwickelten sich immer wieder Gallen in der Fesselbeugesehnenscheide, die teilweise sogar hart wurden, bevor sie wieder verschwanden, um dann erneut hervorzutreten. Ausserdem war Fino vorne links stärker bemuskelt als vorne rechts, was deutlich zeigte, dass er mit dem vorderen linken Bein mehr arbeitete als mit dem vorderen rechten Bein. Im linken Ellenbogen schnappte zudem auf weichem Untergrund immer wieder hörbar ein Band, was ebenfalls keineswegs normal ist. Und seit Kurzem bildeten sich nun auch vorne rechts leichte Gallen, die nahelegten, dass vorne links offenbar bereits so überlastet war, dass nun vorne rechts kompensieren musste und dadurch dort ebenfalls überlastete. Und woher kam diese Überbelastung vorne links? Seit Monaten, wenn nicht sogar seit Jahren, gab ich mir grosse Mühe, Finos offenbar sehr starke natürliche Schiefe durch Training auszugleichen, aber es gelang mir einfach nicht. Auch an der Hinterhand sah ich muskuläre Disbalancen, die eindeutig aufzeigten, dass Fino hinten rechts vor allem im Bereich des Knies weniger bemuskelt war als hinten links, also hinten ebenfalls das linke Bein mehr belastete. Ausserdem bog er sich links deutlich schlechter als rechts und sprang auf linker Hand an der Longe und bei der Freiarbeit bevorzugt im Rechtsgalopp an. Bei mir schrillten also die Alarmglocken und ich war stark verunsichert. Ich erkannte mein Pferd zwar nicht als lahm, aber vom Exterieur her als auffällig und besorgniserregend. Wieso schaffte ich es nicht, dass er seine Gliedmassen gleichmässig belastete und entsprechend aufmuskelte? War die ungleiche Bemuskelung tatsächlich nur auf seine natürliche Schiefe zurückzuführen und auf meine eigene Unfähigkeit, diese durch sinnvolles Training auszugleichen? Oder steckte doch ein gesundheitliches Problem und eine bisher unentdeckte Lahmheit dahinter, dass er so unterschiedlich belastete? Deswegen wollte ich jetzt also eine tierärztliche Lahmheitsdiagnostik. Ich wollte den Grund für diese Auffälligkeiten im Exterieur herausfinden, möglichst bevor es zu langfristigen Problemen und tatsächlichen Lahmheiten kommen würde! Denn gerade Hinterhandlahmheiten sind bisweilen im Gangbild nur sehr schwer zu erkennen und leicht zu übersehen und führen dann häufig zu sekundären, dramatischeren Lahmheiten der Vorhand. So war ich denn auch nicht allzu überrascht, als der Tierarzt mir bestätigte, dass Fino tatsächlich hinten lahmen würde. Die Lahmheit war nur sehr gering und kaum zu erkennen: Auf der Geraden wurde sie erst nach der Beugeprobe sichtbar, und auf gebogener Linie zeigte sie sich ausschliesslich auf derjenigen Hand, auf der das lahme Hinterbein den weiteren Weg hatte. Überrascht war ich dann allerdings davon, welches Hinterbein der Tierarzt als lahm erkannte: Es war nämlich nicht, wie von mir vermutet, hinten rechts, sondern hinten links! Der anschliessende Ultraschall des linken Knies zeigte ein leicht gefülltes Gelenk, und in der röntgenologischen Untersuchung fanden sich Befunde im linken Fesselgelenk und im linken Knie. Diese verursachten offenbar diese Lahmheit hinten links. Doch wie passte das mit meinen eigenen Beobachtungen aus der Exterieuranalyse zusammen? Unter anderem aufgrund meiner Schilderung der Symptomatik sowie meines Erstaunens darüber, dass Fino hinten links und nicht hinten rechts lahm war, röntgte der Tierarzt dann auch noch das rechte Knie. Und dort gab es weitere Befunde, die grundsätzlich noch gravierender waren als jene links, offenbar aber aktuell nicht zu einer Lahmheit führten. Somit setzte sich das Puzzle zusammen: Wahrscheinlich war Fino zuerst hinten rechts (leicht?) lahm gewesen, was dazu geführt hatte, dass er in der Folge hinten links überlastete. Dies verursachte die aktuell sichtbare Lahmheit hinten links. Möglicherweise wechseln die Lahmheiten hinten sich auch immer mal wieder ab, wobei zum Zeitpunkt der Diagnose das linke Hinterbein symptomatisch war, obwohl das rechte Hinterbein die schwerwiegenderen Befunde hat. Die Überlastung vorne links kommt wahrscheinlich, wie ich schon im Vornherein vermutet hatte, von hinten und ist auf die Kompensation für die ungenügend arbeitende Hinterhand zurückzuführen. Und als letztes Bein scheint nun auch vorne rechts mit der Gallenbildung auf diese Überlastungen aller anderen Gliedmassen zu reagieren. Alles in allem also ein ernüchterndes Bild: wahrscheinlich vier behandlungsbedürftige Beine - und das bei einem Pferd, das bisher nie als lahm erkannt worden war! Auf diesen Tierarztbesuch werden für uns nun noch weitere folgen. Bisher wurde erst das linke Knie und damit die akute Lahmheit behandelt; die anderen Baustellen gehen wir später an. Trotz der vielen Befunde und der noch nicht abgeschlossenen Diagnostik - die Vorderbeine sind wir noch gar nicht angegangen - war der Tierarzt aber relativ zuversichtlich, dass das gut kommen wird und wir die Lahmheit(en) und die körperlichen Probleme in den Griff bekommen werden. Ich hoffe natürlich sehr, dass er recht behalten wird und wir früh genug gehandelt haben. Wenn ich die Auffälligkeiten im Exterieur nicht ernst genommen und nicht auf mein Bauchgefühl gehört hätte, wäre Fino möglicherweise in absehbarer Zeit vorne links mit einem Sehnen- oder Fesselträgerschaden deutlich lahm gewesen, und die degenerativen Veränderungen in der Hinterhand hätten wahrscheinlich ebenfalls zu grösseren Problemen geführt, als sie es nun hoffentlich tun werden. Mit diesem persönlichen Bericht zur Lahmheit meines Pferdes möchte ich verschiedene Dinge sagen: 1. Lahmheiten sind nicht immer eindeutig zu erkennen. Gerade Hinterhandlahmheiten sind tückisch und können sehr versteckt sein. Auch als Therapeutin oder Tierarzt ist es nicht selbstverständlich, dass man sie erkennt. Ich selber habe diese Lahmheit meines eigenen Pferdes nicht gesehen. Im Zweifelsfall sollte man immer eine Zweitmeinung einholen, um eine Lahmheit möglichst schnell erkennen und behandeln zu können. Oder man lässt sich gelegentlich filmen, um das Gangbild aus der Aussenperspektive besser beurteilen zu können. Je früher ein Problem erkannt wird, umso besser! 2. Das Exterieur des Pferdes kann uns sehr viel verraten. Muskuläre Veränderungen zeigen sich bereits nach acht bis zehn Wochen. Ein Pferd, das gut und korrekt trainiert wird, sollte also innerhalb von wenigen Monaten gut aufmuskeln und seine "natürliche Schiefe" ausgleichen. Wenn ein Training über einen längeren Zeitraum nicht anschlägt und das Pferd trotz korrektem Training nicht gleichmässig aufmuskelt, liegt es nahe, ein körperliches Problem zu vermuten. Dann sollten weitere Abklärungen getätigt werden. Es ist nicht normal, dass ein Pferd monate- oder sogar jahrelang mit seiner "natürlichen Schiefe" zu kämpfen hat. In einem solchen Fall ist die vermeintliche Schiefe wahrscheinlich eine Lahmheit. 3. Lass dir von deinem Tierarzt oder Therapeuten zeigen, worauf du achten kannst, um die Bemuskelung deines Pferdes zu überprüfen. Wenn du selber detailliert lernen möchtest, Lahmheitsanzeichen zu erkennen, kann ich dir ausserdem den Onlinekurs "Ganganalyse" von OsteoDressage sehr ans Herz legen. Ein toller Kurs, der ganz viele Punkte anspricht und mit viel Videomaterial hilft, selber sehen zu lernen. 4. Du selber kennst dein Pferd am besten. Also höre auf dein Bauchgefühl! Wenn dir etwas komisch erscheint oder wenn dein Pferd sich nicht so entwickelt, wie es das angesichts deines Trainings eigentlich sollte, zieh einen Tierarzt oder Therapeuten zu Rate. Es nützt weder dir noch deinem Pferd, wenn du mit einem unguten Bauchgefühl einfach weitertrainierst - im Gegenteil!
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